… Und hier bei uns

Wie lange ist es her, dass bei uns hier in Ostbelgien die Frauen begonnen haben, ihr Schicksal nicht mehr als gottgegeben zu akzeptierten, ohne zu murren?

Unterschiedlicher Zugang zum Studium

Dass Mädchen studierten, war Mitte des vorigen Jahrhunderts noch nicht evident, was belegt wird durch das Buch des Ketteniser Autors Reiner Mathieu „Wir durften studieren“. Nur 3 Frauen hat Mathieu interviewt gegenüber 39 Männern, denn dass Frauen studierten war zu dieser Zeit noch völlig unüblich. „Was nützt es, wenn sie einen Beruf erlernen oder die Schule weiter besuchen? Für ein Mädchen lohnt es sich nicht, zu studieren, Mädchen werden sowieso heiraten, Kinder kriegen und den Haushalt führen; dann ist es wichtiger, sie lernen mit Kindern umgehen und kochen“, beschreibt eine dieser drei Frauen die damals gängige Meinung, die sie natürlich nicht teilte.

Allerdings war das Studieren auch für junge Männer noch nicht selbstredend: „Das Abitur schafften in meinem Jahrgang nur 12 Schüler“, sagt einer der männlichen Interviewten. Vergleicht man die Fotos von Abiturienten damals und heute, kann man nur staunen über die ungleich größere Anzahl junger Leute, die heutzutage das Ende der Sekundarschule erreichen; allerdings besteht ja heute auch Schulpflicht bis zum 18. Lebensjahr gegenüber 14 in den 50er Jahren. Heute erwerben auch Mädchen meistens das Abitur, können studieren und einen Beruf erlernen, der ihnen erlaubt selbstständig zu sein.

Erwähnen kann man auch in diesem Zusammenhang, dass bis vor nicht allzu langer Zeit junge Mädchen und junge Männer getrennt beschult wurden. Das hat sich zum Glück geändert.

Das Leben als Dienstmädchen

In früheren Jahren – noch zur Zeit, als ich die Sekundarschule begann – ergriffen viele Mädchen unserer Gegend, nachdem sie zu Hause gelernt hatten, einen Haushalt zu führen, die Möglichkeit sich als Dienstmädchen zu verdingen bei Herrschaften, die sie mehr oder weniger wertschätzten. Die wenigsten unter ihnen in Ostbelgien selbst; die meisten in der Wallonie.
„Andere Möglichkeiten gab es kaum, um Geld zu verdienen.“

Allerdings verdienten sie nicht immer die Welt, konnten aber durch „Trinkgeld von den Gästen“ ihren Lohn aufbessern und durften – wenn die Eltern nicht auf das Geld angewiesen waren – damit für ihre Aussteuer sorgen.

Haushaltsangestellte gehörten zum Prestige einer Bürgerfamilie. Der Dienstbotenanteil an der weiblichen Erwerbstätigkeit war wahrscheinlich in unserer Gegend in Ermangelung anderer Möglichkeiten höher als im Rest des Landes. „Zwei Welten trafen dabei aufeinander: das ländlich-konservative Ostbelgien einerseits und das städtisch-liberale Milieu andererseits. Dass dieses Aufeinandertreffen des Öfteren einem wahren Kulturschock gleichkam, lässt sich zwischen den Zeilen erahnen“, so Prof. Dr. Alfred Minke in seinem Vorwort zu „In Stellung“.

Das Dienen war nicht immer ein Zuckerschlecken, wohl aber eine gute Schule fürs Leben, so empfanden es die meisten. „Ich habe gelernt, mich durchzusetzen“. Und: „Traurig über die Zeit als Dienstmädchen bin ich keineswegs. Doch wohl bedauere ich, dass ich nichts anderes werden konnte. Ich wäre gerne Krankenpflegerin oder technische Zeichnerin geworden. Dazu fehlte zu Hause aber das Geld.“

Sozial versichert waren die Hausangestellten meistens nicht. „Zum ersten Mal war ich nun in den Kassen; das war neu für die damalige Zeit“, erzählt eine der Zeitzeuginnen, „denn die wenigsten waren in den Kassen.“ Hausangestellte hatten nicht wie andere Arbeitnehmerinnen Zugang zu Systemen der sozialen Absicherung. Sie waren ja meistens so gut wie unsichtbar und auf alle Fälle isoliert, so dass sie vielleicht gar nicht auf den Gedanken kamen, sich zu solidarisieren und gemeinsam auf ihre Rechte zu pochen. Kein Anrecht auf Krankengeld, kein Anrecht auf Arbeitslosenunterstützung, oft kein Urlaub und natürlich kein Urlaubsgeld und negative Auswirkungen auf die Rente im Pensionsalter.

Noch 1980 unterstützte der Jugendrat eine Sensibilisierungskampagne der KLJ, um gegen dieses Unrecht anzugehen. Daran erinnere ich mich noch gut, weil ich damals beim RDJ beschäftigt war und versucht hatte, die Problematik anschaulich und leicht verständlich im Schaufenster unseres Büros der Öffentlichkeit zu präsentieren.

Eine Jugendbewegung als Motor der Emanzipation

(basierend auf Auszügen der Festschrift zum 40jährigen der KLJ, freundlicherweise zur Verfügung gestellt von Jeannie Radermacher, frühere Bezirksleiterin der KLJ)

Wie soeben gehört, setzte sich die KLJ in 1980 für Frauenrechte ein. Das war nicht immer so.

Noch 1960 wurde eine Gruppenstunde der KLJ-Mädchen so beschrieben: „Zunächst erklärte der Präses eine Bibelstelle aus dem Neuen Testament und sprach über das Verhältnis zu den Eltern, über Freundschaft und über das spätere Eheleben. Danach wurden dann neue sowie alte Lieder gesungen, Volkstänze getanzt, gebastelt. Bei gutem Wetter wurden Wanderungen unternommen oder auf dem Schulhof beispielsweise Völkerball gespielt.“

In 1969 schrieb eines der Mädchen dem Präses: „Viele von uns gehen nicht mehr zur Dorfgruppe, weil sie dort ja sowieso nicht mitreden können. Wir haben andere, eigene Probleme!“ Die Mädchen wollten ihre Zukunft mitgestalten und ihr Leben in die eigenen Hände nehmen!

Und sie wurden ernst genommen: Eine Wende zeichnete sich ab während der Studientage für Mädchen in diesem Jahr: „Mädchen und Frauen hatten bisher überwiegend im Haushalt gearbeitet, sei es zu Hause oder außerhalb, jetzt begannen sie, Berufe im Bereich der neu aufkommenden Textilbetriebe und in Großkaufhäusern zu ergreifen. Viele von ihnen gingen nun auch nach dem 14. Lebensjahr weiterhin zur Schule und wollten später sogar studieren. Für die meisten der Mädchen brachte der Alltag, der sich nun größtenteils außerhalb des Dorfes abspielte, viele neue Aspekte und Situationen mit sich. Sie wollten, dass man auf diese unbekannten berufsbezogenen Themen eingehe.“

Die Leiterinnen der Dorfgruppen fühlten sich zuerst einmal überfordert, kamen dann aber zu dem Entschluss, dass man auf Bezirksebene gemeinsam diesem Problem Abhilfe schaffen solle. Also organisierten Betroffene mit der Bezirksleitung überpfarrlich berufsspezifische Treffen.

So kam es, dass in 1975 eine Mädchengruppe zum ersten Mal an die Öffentlichkeit trat, ihre Forderungen aussprach und die Gesellschaft und alle verantwortlichen Stellen betroffen machte und zur Verantwortung heranzog. Die einen wünschten sich eine spezifische landwirtschaftliche Weiterbildung für die auf dem Hof arbeitende Frau; die andern, d.h. diejenigen, die vorübergehend und aus sozialen Gründen zu Hause waren, forderten eine Berufsberatungsmöglichkeit sowie Möglichkeiten, die mittlere Reife in verkürzter Form in deutscher Sprache nachzuholen. Außerdem wünschten sich alle „ein breitgefächertes Angebot an Weiterbildungsmöglichkeiten in allgemein menschlicher Sicht als Mädchen und Frau.“

Schon bald konnten sie Hilfsangebote von Schulen, PMS-Zentren, Institutionen und politischen Gremien wahrnehmen.

  • 30 Mädchen nahmen schon in 1975 an einer Berufsberatung teil
  • im Januar 1976 startete erstmalig ein Mittelschul-Nachholkurs.

„Die KLJ hatte hierdurch Weichen gestellt“ auf dem Gebiet der Notwenigkeit des zweiten Bildungsweges in Ostbelgien.

Interessanterweise wurde genau in diesem Jahr in Belgien ein Gesetz verabschiedet, das Folgendes festlegte:

  • Frauen müssen ihrem Mann nicht mehr gehorchen
  • Frauen können ohne Einwilligung des Mannes ein Girokonto eröffnen

Und genau ein Jahr später verkündeten die Vereinten Nationen offiziell den 8. März zum Internationalen Tag der Frauen, „um den historischen Kampf zur Verbesserung der Lebensbedingungen von Frauen zu feiern“.

Die Forderung nach Geschlechtergerechtigkeit lag also in der Luft, nicht nur in Ostbelgien und in der KLJ, sondern auch darüber hinaus.

Abschließend

Geschlechtergerechtigkeit ist ein wichtiges Menschenrechtsanliegen gestern wie heute, hier bei uns wie auch in den Ländern des Südens. Auch heute ist noch nicht alles erreicht und wie alle Menschenrechte muss die Geschlechtergerechtigkeit ständig erkämpft, geschützt und gefördert werden.

# Fastenaktion 2018 # Geschlechtergerechtigkeit