Coronavirus: die Arbeit der lokalen Radiosender in Haiti

Während das Coronavirus in Belgien weiterhin sein Unwesen treibt, hat es auch in den Ländern des Südens gefährliche Fortschritte gemacht.

Seit der Ankündigung seiner Präsenz in Haiti am 19. März hat das Coronavirus unter den 40 offiziell registrierten Fällen bereits drei Opfer gefordert. Angesichts dieser Situation haben die Behörden Maßnahmen wie Eindämmung, soziale Distanzierung und strenge Hygienemaßnahmen angekündigt.

Myrlande Joseph
Myrlande Joseph
Myrlande Joseph ist Generaldirektorin von SAKS (Société d’animation et communication sociale), einer Institution, die sich seit 1992 für die Einrichtung und Unterstützung von Gemeinde-Radiosendern in Haiti einsetzt. Myrlande hätte im vergangenen März in Belgien anwesend sein sollen, um über ihre wesentliche Arbeit der Volksbildung in Haiti zu berichten. Doch das Coronavirus entschied anders. Sie erzählt von der Ankunft des Virus auf der Insel.

Eindämmungsmaßnahmen, deren Einhaltung schwierig oder sogar unmöglich ist.

Eine erste Schwierigkeit, auf die man in Haiti stößt, ist die sozioökonomische Situation der Mehrheit der Bevölkerung. Tatsächlich haben viele Haitianer heute keinen Zugang zu sozialen Grunddiensten wie Gesundheitsversorgung oder Zugang zu Trinkwasser. Die Lage ist wirklich ernst, die Bevölkerung in den Elendsvierteln hat nicht einmal Zugang zu angemessenen Wohnungen, geschweige denn zu Elektrizität. Hinzu kommt, dass viele Haitianer gezwungen sind, von der Hand in den Mund zu leben und jeden Tag auf‘s Neue hinausgehen müssen, um Nahrung für ihre Familien, für ihre Kinder zu finden. In den letzten Jahren ist die Kaufkraft der Bevölkerung erheblich gesunken, und diese Situation hindert die Bevölkerung daran, die Ankündigungen und Entscheidungen der Behörden angemessen zu respektieren. Die Mehrheit der Bevölkerung kann nicht eingesperrt bleiben. Manche Menschen gehen so weit zu sagen, dass sie lieber auf der Straße stehend sterben würden, als an einer Ecke zu bleiben und zuzusehen, wie ihre Familien verhungern. Die Behörden bieten derzeit keine systematische und konsequente Hilfe zur Unterstützung dieser Familien an.

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Die Aussage der in Frage gestellten Behörden

Neben dieser sozioökonomischen Situation müssen wir auch über das Bild und die Wahrnehmung der Behörden durch die Bevölkerung sprechen. Im Jahr 2019 mobilisierten sich zahlreiche Haitianer gegen die Korruption in Haiti. Infolge dessen sind die Behörden in den Augen der Bevölkerung diskreditiert. Einige Leute denken, dass das Coronavirus-Problem nur ein weiterer Trick von Politikern ist, um finanzielle Hilfe auf dem Rücken der Bevölkerung zu bekommen. Es ist eine Situation, die schwer wiegt, und die Menschen verlangen Transparenz.

Die Arbeit des SAKS in Zeiten der Eindämmung

Noch vor der Bekanntgabe des ersten Falls in Haiti begann das SAKS mit der Ausstrahlung von Programmen über das Coronavirus, welches im Ausland bereits Einzug erhalten hatte. Am Tag nach der Ankündigung seiner Ankunft in unserem Land begannen wir damit, das Bewusstsein für die Maßnahmen zu schärfen, die zu ergreifen sind, um die Ausbreitung des Virus zu verhindern. Zu diesem Zweck produzierten wir Programme, Spots und sehr kurze Botschaften, die über rund 40

Gemeinde-Radiosender in allen Departements des Landes ausgestrahlt wurden. Jede Woche sprechen wir einen Aspekt des Problems an. Zuerst sprachen wir über Covid-19 und darüber, was eine Pandemie ist, wie man sich schützen kann, was die Anzeichen einer Ansteckung sind, was man tun sollte usw. Wir sprachen auch über das Virus. Dann sprachen wir über Solidarität, denn in Haiti haben wir ein Volk, das eine solidarische Seele hat. Bei SAKS haben wir darüber nachgedacht und ja, es stimmt, es gibt eine Distanz, es gibt Vorkehrungen, die man treffen muss. Wir wollen nicht, dass diese Pandemie unsere Werte drastisch verändert. Derzeit sind wir damit beschäftigt, die Frage der Landwirtschaft zu klären. Denn dies ist eine Sache, die wir ignoriert haben.

Unser Land importiert viele Dinge des täglichen Bedarfs. Jetzt, da die Welt in Schwierigkeiten steckt und die Grenzen geschlossen sind, ist der Handel nicht mehr derselbe. Wir müssen jetzt mehr denn je über die Landwirtschaft nachdenken und ihr ihre volle Bedeutung beimessen. Wir sind auf unsere Landwirtschaft angewiesen. Diese Landwirtschaft, die abgebaut und von den Behörden ausgezehrt wurde. Wir müssen die Debatte ein für alle Mal neu auf das Thema Landwirtschaft ausrichten.

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Darüber hinaus prüfen wir, wie wir den Fortbestand von Gemeinschaftsradiostationen sicherstellen können. Die Mitglieder der Gemeinde-Radiosender arbeiten ehrenamtlich, und heute ist die Situation in den Gemeinden noch schwieriger. Wir müssen herausfinden, wie wir den Gemeindesendern helfen können, ein Team von 2-3 Personen zu haben, die permanent während der Sendezeit arbeiten, und auch dafür sorgen, dass das Radio über ausreichend Treibstoff verfügt, um für eine bestimmte Zeit und regelmäßig zu funktionieren.

Angesichts der Krise gibt es nur ein Stichwort: Solidarität!

Es ist sehr wahrscheinlich, dass Haiti mit einer Krise konfrontiert sein wird, die nicht das gleiche Ausmaß haben wird wie in anderen Ländern, die über Infrastrukturen verfügen. Wenn wir die Nachrichten berücksichtigen, die uns erreichen, fällt es selbst den so genannten entwickelten Ländern schwer, mit dieser Krise fertig zu werden. Und in Haiti, einem benachteiligten Land, das von Ausgrenzung, von Armut beherrscht wird, wird es für uns sehr schwierig sein, dem entgegenzutreten. Ich weiß noch nicht, wie wir damit umgehen werden.

Wir hätten uns gewünscht, dass die Situation unverändert bliebe, aber das ist nicht der Fall. Worauf wir also zählen können, ist diese Solidarität in Haiti, aber auch die Solidarität auf internationaler Ebene. Wir leiden noch immer unter den Auswirkungen des Erdbebens vom 12. Januar und des Klimawandels. Wenn wir heute dieser Krise, die die Welt erschüttert, dieser Krise, die die entwickelten Länder erschüttert, begegnen müssen, weiß ich nicht, wie wir in Haiti zurechtkommen sollen. Die Situation wird sehr schwierig sein.

# Ernährungsunsicherheit # Gesundheitskrise # Krise